Prosecco aus dem Veneto, Franciacorta aus der Lombardei, Asti aus dem Piemont, Lambrusco aus der Emilia-Romagna – aber aus der Toskana? Man könnte erwidern, dass es schon mit dem Teufel zugehen müsste, wenn Toskana – einer der weltweit besten Weinanbauregionen mit ihren "Supertoskanern" an der Spitze – keine besonderen Schaumweine vorzuweisen hätte. Hat sie auch, doch sie stehen im Schatten ihrer weitaus berühmteren stillen Weine und der "Bollicine", der "Bläschen" der Nachbarn. Zu Unrecht, wie wir finden.
Schaumweine noch zu entdecken – ein neuer Trend aus der Toskana
Es stimmt, die Toskana hat keine Berühmtheiten unter ihren Schaumweinen und kann nicht mit solchen Produktschlaglichtern wie Prosecco, Franciacorta, Asti oder Lambrusco punkten. Dabei werden in allen Subregionen Toskanas hervorragende, teils deutlich terroirverliebte Spumanti erzeugt. Alle drei Methoden der Herstellung der feinen Bläschen nach der Champenoise- ("klassisch" oder "traditionell" genannt), der Ancestral- oder der gängigen Charmat-Methode finden in den Kellereien der vielfältigen Weinlandschaft Toskanas Anwendung und führen zu Schaumweinen, die sich wahrlich nicht verstecken müssen. Dennoch ist Toskana – bisher zumindest – kein Schaumweinland wie beispielsweise Veneto. Man sollte auch nicht verschweigen, dass die Spumanti nur einen kleinen Anteil an der Gesamtweinproduktion der in der Region produzierten Weine haben. Das hindert die Weinmacher, und darunter finden sich überaus bedeutende Weingüter, jedoch nicht daran, neue Schaumweine mit viel Flair, Eleganz und Terroir zu kreieren.
Es wäre im Moment noch übertrieben, von der Toskana als einer neuen Schaumweinlandschaft zu sprechen, aber eines ist unverkennbar: Die toskanischen Winzer entdecken immer mehr die Welt der Bläschen und weil sie gewissermaßen auf keine Tradition Rücksicht nehmen müssen, sind sie frei zu experimentieren. Tatsächlich entstehen in den Weinkellereien der Toskana seit einer gewissen Zeit immer mehr interessante und äußerst beachtenswerte Spumanti.
Die "neuen Wilden" der Schaumweinkunst können auf Jahrtausend altes Wissen in der Weinbereitung zurückgreifen, das sich – man kann es durchaus so sagen – mit einer unübertroffenen, beinahe schon genetisch verankerten Intuition paart, wenn es darum geht, einmalige Weine von Weltruhm zu erschaffen. Wir brauchen uns nur an die "Super Tuscans" zu erinnern, an Sassicaia, Tignanello, Ornellaia oder an den Masseto… Warum also nicht auf diesen dicken Säulen aus Wissen, Können, weltbesten Lagen und Eingebung einen neuen Ruf für sprudelnde Weine aufbauen?
Vielleicht doch die Italiener als Geburtshelfer der Schaumweine?
Franzosen und Engländer kämpfen wieder einmal miteinander, in diesem Fall um die Urheberschaft der schäumenden Weine. Die Franzosen (und Wikipedia) halten daran fest, dass der moussierende Wein in der Abtei von Hautvillers von dem Mönch und Kellermeister Dom Pérignon um das Jahr 1640 erfunden wurde. Die Benediktinermönche, allen voran der Kellermeister Dom Pérignon, sollen es gewesen sein, die den ersten nicht vollständig vergorenen Wein in Flaschen umfüllten und diese mit Verschlüssen aus Eichenkork dicht machten. Darin soll der Wein zum zweiten Mal gegärt haben, woraus Kohlensäure entstand, die nicht entweichen konnte. Et voilà! Schön, aber dennoch nicht richtig.
Die Britten halten dagegen, dass in altenglischen Gedichten schon lange vorher von prickelnden Weinen die Rede sei und dass ohne die englische Erfindung der doppelwändigen Flasche es auch keinen Champagner gäbe. Sie könnten aber auch gefragt haben, ob Mönche um 1640 Weine ihre Weine in teure Flaschen abfüllten oder warum es den Kellern die Temperaturen plötzlich so schwankten, dass die zweite Gärung im Winter stoppte und im Frühjahr wieder von neuem begann, dann aber in der Flasche… Auch andere ungeklärte Fragen drängen sich auf.
Die Britten schreiben ihre eigene Schaumweingeschichte, in der die stillen Weine, die sie aus der Champagne in Fässern importierten und anschließend in Flaschen abfüllten und verkorkten, angefangen haben, zu gären. Der Fermentationsprozess stoppte ihrer Ansicht nach aufgrund des kalten Winters in Frankreich vorzeitig und wurde im milden Klima Englands von neuem mit dem Restzucker in Gang gebracht. Tatsächlich war es Christopher Merret, ein englischer Wissenschaftler, der ganz genau darlegte, wie es zu Kohlensäurebildung im Wein kommt und wie Zucker im Wein, auch wenn er ihm erst später hinzugefügt wird, dieses Phänomen hervorbringt. Diese Abhandlung wurde 1662 publiziert und es ist sehr wahrscheinlich, dass die britischen Weinhändler (die für die Abfüllung von Fassweinen verantwortlich waren), dieses Prickeln im Glas noch vor der 'Erfindung' des Champagners in dem besagten französischen Kloster für ihre britische Kundschaft produzierten.
Wir können festhalten, dass die 'Erfindung' von Dom Pérignon und seinen Benediktinerbrüdern zu hohem Prozentsatz aus schönen Fabeln besteht, die ein ehemaliger Klosterbruder aus Hautvillers im Auftrag der Katholischen Kirche verfasste und zwar an die 100 Jahre später.
Als patriotischer Italiener kann man sich angesichts der unklaren Geschichte des Schaumweins durchaus fragen, ob es nicht doch die Römer waren, die den schäumenden Wein als erste erfanden. Tatsächlich kannten sowohl die Griechen als auch die Römer schäumende Weine, wovon sie schriftlich Zeugnis ablegten. Doch ihre Schaumweine waren tendenziell wohl alle Zufallsprodukte. Man begriff nicht ganz genau, wie der Sprudel in den Wein kam, oder man hielt es für eine fehlerhafte Weinproduktion, die man unbedingt vermeiden sollte. Der schäumende Wein war so zu sagen "schlecht". Auch der im Kloster von Hautvillers hergestellte pseudo-Schaumwein verließ den klösterlichen Keller als ganz normaler Wein, weil der Kellermeister fälschlicherweise glaubte, der Gärvorgang sei bereits abgeschlossen gewesen. Doch auch das wirft eher weitere Fragen auf (hat ein Kellermeister den zu süßen Wein nicht zuvor probiert?).
Wenn man über die Erfindung des Schaumweins sprechen möchte, so muss man daher nicht über die Entdeckung von schäumendem Wein sprechen, sondern darüber, wann dieser als gewünschtes, eigenständiges Produkt in größeren Mengen hergestellt wurde. Und davon haben wir leider nicht eindeutige Zeugnisse. Dom Pérignon war sicherlich nicht der Erfinder dieser Produktion. Beglaubigt ist hingegen, dass die Mönche des Klosters Saint-Hilaire in Limoux (Südfrankreich) seit spätestens 1531 einen Schaumwein nach der "méthode ancestrale" herstellten, den es bis heute gibt und der "Blanquette de Limoux" heißt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Pérignon den Stil seines Kollegen aus Saint-Hilaire in sein eigenes Kloster brachte.
Und seit wann ist eigentlich der feinperlige Lambrusco bekannt? Spätestens seit dem 16. Jahrhundert. Und der Prosecco? Die Traube und der daraus gekelterte Wein sind seit Plinius und Julia Augusta, die Ehefrau Kaiser Augustus, die ihn gerne als "Medizin" trank, bekannt. Ob er schon "frizzante" oder "spumante" war, ist nicht klar. Prosecco, so wir ihn kennen, gab es seit dem 17. Jahrhundert, voll ausgebildet spätestens seit 1754. Seine Geschichte ist mindestens so alt wie die des Champagners. Der Prosecco wurde nach der "col fondo" Methode hergestellt, einer althergebrachten Weise, Weine "mit Sediment" zu vinifizieren. Es ist daher anzunehmen, dass dieser kohlensäureerzeugende Stil den Winzern auf dem Stiefel schon lange bekannt war. Nicht zu vergessen, dass auch der Korkstopfen eine Erfindung der Römer war, die ihn natürlich überall im Weströmischen Reich bekannt machten – genauso wie die Winzerei auch.
Man kann also durchaus phantasieren, dass man mit den Römern schon Brauseweine in der Toskana produzierte und trank. Und wer sucht, der findet: Das im Jahr 1100 in Italien veröffentlichtes Buch "Regimen Sanitatis", "Gesundheitsregeln", ein mittelalterlicher Ratgeber in Sachen der Diätik, warnt vor zu starkem Konsum schäumender Weine. Er nennt dabei Weine aus der Gegend von Pescia, einer Provinz östlich von Lucca und nordwestlich von Florenz – ganz genau, wir befinden uns hiermit in der Toskana!
Des Weiteren kennt man die Weine "Governo alla Toscana" beziehungsweise " Governo all’uso toscano”, womit eine besondere Herstellungstechnik toskanischer Weine gemeint ist. Dieses Verfahren ist spätestens seit 1000 n. Chr. bekannt. Man verwendete zunächst die Lambrusco-Trauben, die Vitis Silvestris, die zum Teil getrocknet wurden, um anschließend eine zweite Gärung im bereits vorgegoren Most einzuleiten. Später wurde das Verfahren auf die alttoskanischen Vitis Vinifera, auf Sangiovese, Trebbiano, Malvasia lunga del Chianti angewandt.
Man kann durchaus daraus schlussfolgern, dass das Verfahren der Bollicine im Glas den toskanischen Winzern schon früh bekannt war …
Die "Bläschen" aus der Toskana – das sind die neuen Schaumwein-Wilden!
In der Toskana werden überall Schaumweine hergestellt. Sogar die ältesten und traditionellsten Winzer versuchen sich an den prickelnden Weinen. Dementsprechend ist die Auswahl groß, auch wenn sie den meisten (deutschen aber nicht nur diesen) Konsumenten unbekannt ist. Es heißt, in der Toskana erzählen die Schaumweine mehr von der Person des Winzers und seiner speziellen Handschrift als die stillen Weine.
Da wären zum Beispiel die Schaumweine aus der Gegend von Florenz. Bibi Graetz ist ein solcher Besessener. Er ist durch und durch ein Künstler seines Fachs: ein bildendender Künstler (und Sohn eines Bildhauers) und ein Künstler im Weinkeller, in diesem Fall im Sektkeller. Seine wahrlich künstlerischen Weinkreationen haben die Kritikerszene bereits auf sich aufmerksam gemacht. Der Bibi Graetz "Bollamatta" Schaumwein, ein Rosé auf der Basis von Sangiovese-Trauben, der nach der Charmat-Methode hergestellt wird. Graetz verwendet für ihn die gleichen Trauben wie sie für die berühmten "Testamatta" Weine und heimst von James Suckling und Robert Parker regelmäßig 90 Punkte ein.
Auf den Spuren von Leonardo da Vinci gelangt man nach Vinci, wo in der Tenuta Dianella ein anderer beachtenswerter Rosé aus Sagiovese-Trauben kreiert wird: der "Maria Vittoria e Ottavia", ein langgereifter Schaumwein nach der Ancestral-Methode, der durch seine klare Persönlichkeit überzeugt. Abgefüllt wird er mit leichten Rückständen und ist ein echter "Sur-Lie" Schaumwein von frisch-spritzigem Geschmack mit schönen Hefenoten und softer, natürlicher Kohlensäure.
Im Chianti Classico, im Land der Rotweine, hat die Azienda Carpineto mitunter die ersten namenhaften Schaumweine Toskanas nach der Chianti-Classico-Methode versektet. Mittlerweile produziert es vier verschiedene Schaumweine (Stand 2022) nach der Charmat-Methode. Die besten entstehen auf der Basis von in Eichenfässern gereiften Chardonnays und ergeben sehr elegante Schaumweine mit feiner Perlage wie beispielsweise der "Farnito" Brut, eine Assemblage aus Chardonnay-Weinen verschiedener Jahrgänge basiert, die zum Teil lange in Eichenfässern gereift sind. Die Schaumweine der Azienda Carpineto gehören zu kleinen Raritäten, die in limitierten Mengen auf dem Markt zu finden sind.
Die Region Montecarlo di Toscana ist bekannt für exzellente Weißweine aus der ansonsten von Rotweinen dominierten Provinz Lucca. Hier hat sich seit den 1960er Jahren das Weingut Buonamico einen feinen Namen unter anderem für hervorragende toskanische Schaumweine herausgearbeitet und ist darüber hinaus bekannt als ein architektonisch interessanter "Wine-Resort". Das Portfolio beinhaltet fünf Schaumweine, von denen zwei besonders herausstechen: der "Spumante Particolare" Brut Rosé, ein Schaumwein aus Sangiovese- und Syrah-Weinen, die bis zu acht Monaten in Tonneaux-Fässern reiften und der "Spumante Particolare" Brut, eine Cuvée aus Pinot Bianco, Semillion und Trebbiano.
Nach der Metodo Classico, nach der Champagner gemacht werden, versektet die Tenuta Brancais ihren "Stella" Brut aus 100 % Chardonnay. Eine große Auswahl an Schaumweinen in dem "klassischen" Verfahren produziert auch die Tenuta Felsina, deren Schaumweine Cuvées aus Sangiovese, Chardonnay und Pinot Nero sind. Unbedingt zu erwähnen ist abschließend noch der "Leonia Millesimato" Brut Rosé DOC Pomino, ein wunderschöner sortenreiner Pinot-Nero-Rosé-Schaumwein, den das Castello di Pomino der Frescobaldis versektet.