Ceretto
Die sperrigen, oftmals nach Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten trinkbaren – häufig genug auch dann noch nicht vollendeten – Barolos und Barbarescos wurden von den Cerettos durch vollständig neue Anbaumethoden und Techniken in der Weinherstellung tatsächlich revolutioniert. Das passierte nicht von heut auf morgen, und vielen Winzern der Region war das Treiben der Cerettos suspekt. Doch schon bald zeichnete sich ab, wie goldrichtig die Weinrevoluzzer, die zusammen mit den Pionieren Montezemolo und Angelo Gaja zu nennen sind, lagen. Es waren mitunter ihre ‚neuen‘ Barolos und Barbarescos, die diese herrlichen Rotweine vor dem internationalen Untergang bewahrten, indem sie sie wieder in die ihnen gebührenden Höhen hochsteigen ließen. Die Top-Weine der Cerettos stellen auch heute immer wieder aufs Neue die Experimentierfreude der Weinmacher unter Beweis. Eines ist ihren Weinkreationen gemeinsam: Sie alle sind unverkennbare Terroir- und Piemonteser Weine, die den klassischen Geschmack neu interpretieren, ohne ihn zu verleugnen.
Cerettos neue Weinphilosophie im Piemont
Was macht das Weingut Ceretto anders als die anderen in der Langhe-Appellation im Piemont? Zunächst haben die Erneuerer des Labels „Cerretto“, die Gebrüder Bruno und Marcello Ceretto, es verstanden, was an den Vorzeigeweinen der Region ‚nicht stimmt‘. Denn vielen Weintrinkern waren (und sind es häufig immer noch) die berühmten Rotweine Barolo und Barbaresco einfach zu sperrig, zu ‚langatmig‘, zu verschlossen. Wer die Geduld hat, die gekauften Weinflaschen ein paar Jahre ruhen zu lassen, der wird mit einem erstklassigen Nebbiolo-Genuss belohnt. Doch wer diesen Aufwand nicht betreiben möchte – und das sind viele Weintrinker –, der wird sehr wahrscheinlich enttäuscht werden.
Die Cerettos begegneten diese Verbraucherentwicklung mit klugem Weitblick und dem Wissen von Weinhändlern, die sie ehemals waren. Sie reduzierten zunächst die Erträge. Schon früh begannen sie auf chemische Dünger und Pestizide zu verzichten und begaben sich dann an die Neuerungen im Weinkeller. Hier war es für sie augenfällig geworden, dass es offenbar durch unvorsichtige Handhabung schnell zu einer bakteriellen Verunreinigung des Mosts kam. Sie sahen in der Gärung in den großen Eichenfässern, die zumeist benutzt wurden, das Problem einer zu geringen Oxidation. Hinzukam, dass durch die bakterielle Verunreinigungen zu viel Essigsäure entstand, und die lang gelagerten Weine so sperrig bis untrinkbar machte. So entwickelten die Gebrüder neue Methoden des Kelterns und setzten sie konsequent in ihren Weinkellereien um. Auf diesem Wege entstandene ‚neue‘ Nebbiolo-Weine gaben ihnen recht und überzeugten nach und nach die anderen Winzer, denn die Kreationen der Cerettos waren bereits nach einem bis zwei Jahren in der Flasche trinkbar und trumpften auf mit einem gut ausgereiften, vor allem aber in der Qualität konstanten Körper.
Die Neuerungen der Brüder beschränkten sich nicht auf den Wein allein. Ihren Betrieb führten sie von Anbeginn dezentral, das heißt, dass ihre Einzellagen von kleinen Kellereien bestellt werden, deren Kellermeister gegenüber der Ceretto-Zentrale weitestgehend autonome Entscheidungen treffen können. In diesen kleinen Aziende werden höchstens 100. 000 Flaschen pro Jahr produziert. Zu diesen gehören so herausragende Denominationen wie das „Bricco Rocche“ (Barolo) oder in Barbaresco das „Bricco Asili“. Cerettos verarbeiten auch eingekaufte Weintrauben, die von ausgewählten Zulieferern kommen und im Hauptkeller der Cerettos verarbeitet werden.
Lagenweine wie „Bricco Rocche“ und „Asili“ oder „Prapò“ entstehen nur aus den besten Jahrgängen. Fällt das Traubengut nicht entsprechend hochwertig ausfällt, werden die Weine trotz ihrer Einzellage zu Handelsweinen abgestuft. Durch diese rigorose Handhabung garantieren die Cerettos dem Weinkonsumenten ein Qualitätsprodukt, das bereits am Etikett erkennbar ist. Seit 1987 befindet sich der Hauptsitz der Ceretto-Weinwelt in der unmittelbaren Nähe zu Alba, in der zuletzt erworbenen Cantina Ceretto Monsordo Bernardina. Hier werden die Weine aus den übrigen Weinkellereien gesammelt und weiterverkauft.
Die Hauptkellerei produziert ausschließlich Weine aus den Lagen Langhe und Roero und verarbeitet die zugekauften Qualitätstrauben. Die Cantina Bricco Rocche, die in Castiglione Falletto liegt, produziert Barolo-Weine, die Cantina Bricco Asili ist auf Barbaresco spezialisiert und die Cantina Vignaioli di Santo Stefano, die sich in Santo Stefano Balbo befindet, keltert die Moscato-Weine des Hauses Ceretto. Die Weingüter der Cerettos werden alle nachhaltig und naturnah betrieben.
Vom Weinhändler zum Weinunternehmer
Riccardo Ceretto, der das erste Weingut der Cerettos, die Casa Vinicola Ceretto in Alba, in den 1930er Jahren gründete, war eigentlich ein Weinhändler, dessen Familie im ausgehenden 19. Jahrhundert auch Gastronomie in Santo Stefano Belbo betrieb und etwas Wein selbst herstellte. Im elterlichen Betrieb erwarb Riccardo seine Kenntnisse in der Weinherstellung, die er in seiner ersten „Casa“ bei angekauften Weintrauben zur Anwendung brachte.
Die entscheidenden Veränderungen im Weingut wurden durch seine Söhne Bruno und Marcello vorangetrieben, die das Weingut in den 1960er Jahren von ihrem Vater übernahmen. Klare Ideen zum besseren Weinausbau kamen ihnen nach ihrem Aufenthalt im französischen Burgund. Sie begannen das väterliche Weingut systematisch mit besten Weinlagen zu erweitern und sie in teilautonome Weinbetriebe ausbauten. Die Azienda Agricola Bricco Asili, die 1973 in Betrieb genommen wurde, ist das erste auf diese Weise entstandene Weingut der Cerettos. Es besitzt 1,2 Hektar der berühmten Lage „Bricco Asili“, die 1970 erstanden wurde. In Castiglione Falletto wurde in den Jahren 1977 und noch einmal 1982 Spitzenlagen, unter anderem die berühmte „Bricco Rocche“, gekauft, was dem Ceretto-Weinbetrieb den entscheidenden Aufschwung brachte. 1977 entstand hier die Azienda Agricola Bricco Rocche, die sich nicht zuletzt durch ihre augenfällige Modernität auszeichnet.
Zwischen den 1990er Jahren und heute hat die Unternehmerfamilie einige neue Projekte vorangetrieben, in denen sich insbesondere ihr künstlerisches aber auch natur- und regionales Engagement widerspiegelt. Dazu gehört beispielsweise das „Relanghe Projekt”, das 1993 startete, und piemontesische Haselnusssträucher zu beleben sucht, um im Zuge des Anbaus wieder die traditionelle Nougatproduktion anzukurbeln. Traditionsbewusst setzen sich die Cerettos auch für die Kunst- und Kulturpflege, so zum Beispiel indem sie die alte Kapelle im Weinberg Brunate in La Morra (Barolo) von den Künstlern David Tremlett und Sol LeWitt renovieren ließen. Wein geht bekanntlich hervorragend zusammen mit Kunst, so haben die Winzer – nun bereits in der dritten Generation – sich gleicherweise dem Ausbau der Kunstprojekte und Gastronomie verschrieben. Dazu gehört das „Haus der Kunst“, das 2010 eröffnet wurde. Es steht auf einem Weinhügel gegenüber dem Weingut Monsordo Bernardina und bietet renommierten Künstlern Arbeitsräume, vor allem aber jährliche Ausstellungsevents
Heutzutage verfügt die Winzerfamilie Ceretto über insgesamt vier Weingüter im Piemont, beschäftigt circa 150 Personen, beliefert viele Restaurants und exportiert in über 60 Länder. Nebenbei betreibt sie auch eine eigene Brennerei für hervorragende Grappe. Heutzutage wird das Ceretto-Weinuniversum von der dritten Generation, den Kindern von Bruno und Marcello, Lisa, Roberta, Alessandro und Federico geführt. Der Hauptverantwortliche ist Allessandro (Sohn von Marcello), der in Alba zum Önologen ausgebildet wurde, viel Praxiserfahrungen bei seinen Auslandsaufenthalten in Südafrika, Kalifornien, Australien und Bordeaux gesammelt hat und der hauptverantwortliche Önologe der Weingüter ist. Federico (Sohn von Bruno) ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und Betriebswirt, der an der University of California sein Marketing-Zertifikat erwarb und nun als Verkaufsmanager im Familienbetrieb tätig ist. Roberta (Tochter von Bruno) sorgt für die richtige Öffentlichkeitswahrnehmung und die Kommunikation, wohingegen Lisa (Tochter von Marcello) die Administratorin des Familienunternehmens ist.
Die Weine der Cerettos
Das Weinportfolio hat 17 verschiedene Qualitätsweine im Angebot. Dazu zählen: drei Vini Dolci (Muscato, Asti, Barolo), worunter sich auch ein Spumante versteckt, eine Klassik-Linie, die aus fünf Rotweinen besteht, eine Langhe-DOC-Linie, zu der ein Rotwein und zwei Weißweine gehören, sowie die Barolo-Cru-Linie mit fünf exzellenten DOCG-Weinen, die durch zwei aus der DOCG-Barbaresco-Cru-Linie komplementiert werden. Zu den Ceretto-Rotweinen gehören Nebbiolo-, Dolsetto- und Barbera-Weine, sowie die internationalen Cabarnet Sauvignon, Merlot und Syrah. Unter den Weißweinen sind vor allem Moscato d’Asti und Arneis zu finden. Unter den DOC und DOCG Weinen befinden sich Langhe, die weißen Asti Spumante und Moscato d’Asti sowie Barolo, Barbera, Nebbiolo und Dolcetto d’Alba.
Zu den Vorzeigeweinen der Cerettos zählen natürlich die Barolos und Barbarescos aber auch die Arneis-Weine, die sowohl in der Klassik- als auch in der Cru-Linie ihre Vertreter haben. Je nach Geldbeutel und Geschmack werden Sie hier sicherlich problemlos den richtigen Wein für sich finden. Die Weininterpretationen der Flaggschiffe tendiert zu gewisser Leichtigkeit und Frucht-Säure-Balance. So bevorzugt der Önologe und Hausherr Alessandro Ceretto beim Arneis statt der Überreife vielmehr die grünen Noten, was den Weißwein spritzig und leicht macht. Leichtigkeit wird auch bei dem Barbera d’Alba Rotweinen wie dem „Piana“ angestrebt. So versucht sich Alessandro hier an dem Kunststück, bei seinem Barbera 13,5 Vol% zu erreichen (statt der üblichen 15,0 Vol%) und ist erfolgreich dabei, aus der ansonsten zuckerreichen Trauben einen frischen, säure-präsenten und gerbstoffärmeren Barbera zu kreieren. Hier entstehen besondere, unverwechselbare Barberas, die sich weit aus der Masse herausheben. Die Barolos DOCG und Barbarescos DOCG sind nach einem Ausbau in Barrique verhältnismäßig schnell trinkreif, doch auch hier sollte man ihnen noch ein paar Jahre in der Flasche gönnen, damit sie ihre Potenzial vollends entwickeln. Daher ist es am besten, wenn Sie gleich zwei Fläschchen für Jetzt und Später kaufen…
Ein Flaggschiff des Hauses ist der von James Suckling mit 97 Punkten bewertete (Jahrgang 2012) Ceretto Barolo „Brunate“ DOCG. Hier erwartet Sie ein herausragender Cru-Barolo aus der Top-Lage Brunate, der mit viel elegantem und nachhaltigem Körper aufwartet. In der gleichen Liga spielt auch der Barolo „Bricco Rocche“ DOCG, der einen Duft nach Rosen und dunkler Konfitüre verströmt und gleichzeitig saftig um komplex am Gaumen ist. Kein Wunder, dass James Suckling hier schon mal die 98 Punkte (für 2012) vergibt. Die Auszeichnung der Ceretto-Barbarescos – allen voran der herausragende „Bernadot“– ist ihre ausgewogene Intensität sowohl am Gaumen als auch in der Nase. Tabak, Leder, frische Rosen und Fruchtnoten von reifen roten Früchten versammeln sich hier zu einem unvergesslichen Gesamterlebnis, das mit einem langen, langen, langen Abgang gekrönt wird.
Hervorzuheben ist auch der Langhe-Wein Nebbiolo d'Alba „Bernadina“, eine reinsortige Rarität, die wie Barolo und Barbaresco aus 100% Nebbiolo gemacht wird, und damit ohne die übliche Barbera-Zugabe auskommt. Angestrebt wird hier ein deutlicher Nebbiolo-Trinkcharakter und daher wird der „Bernadina“ nur kurz im Holzfass gelagert, was die Tannine optimal einbindet, den typischen Geschmack aber wenig verändert. Auf diese Weise entsteht hier ein sehr angenehmer ‚Einstiegswein‘ für Barolos.
Ceretto
Gründungsjahr: 1930er
Jahre
Eigentümer: Bruno und Marcello Ceretto
Önologe: Alessandro Ceretto
Jahresproduktion: nicht bekannt
Rebfläche: 160 Hektar im naturnahen Anbau
Notabene: Das Weingut Ceretto bietet unterschiedliche Besichtigungsmodi, Degustationen, Weinwanderungen, Seminare und vieles mehr an, die zum Teil direkt online gebucht werden können. Zum Universum der Unternehmerfamilie gehört das Restaurant La Piola in Alba, das mit drei Michelin-Sternen auftrumpfen kann. Wer in der piemonteser Kulturregion entspannen und das komplette Paket aus Wein, Gastronomie und Kunst in Ruhe genießen möchte, dem steht das exklusive Hotel Piazza Duomo der Cerettos zur Verfügung, in dessen Restaurant Sie neben hervorragender Küche und den hauseigenen Weinen auch die Fresken des Francesco Clemente genießen können.